Indien heute. Kulturelle, philosophisch-religiöse und gesellschaftliche Konzepte.
Indien ist ein Land mit einigen Superlativen; es ist eine seit 4000 Jahren kontinuierlich existierende Kultur in einem relativ abgeschlossenen Raum, deren älteste Texte, die Veden, ab 2000 v. Chr. entstanden und bis heute religiöse Gültigkeit besitzen. Indien ist eine der größten Volkswirtschaften der Welt und gewinnt geopolitisch an Einfluss; Ende Dezember 2021 überstieg das Land die 1.4-Milliarden-Grenze und hat heute (am 6.3.2022 um 15 Uhr nach dem „Worldometer“) 1.403.162.604 Menschen, das sind fast 18% der Weltbevölkerung; im Sommer 2022 wird Indien China an Einwohnern überholt haben. Dennoch wird Indien oft unterschätzt und in der westlichen Presse in Klischees beschrieben; nicht selten werden Indiens kulturelle Konzepte, aus eurozentrischer Perspektive betrachtet, missverstanden.
Die Vorlesung unternimmt den Versuch, heutige kulturelle und politische Phänomene Indiens darzustellen und diese aus seinen Traditionen abzuleiten, Themen werden sein: Die Elemente indischen Denkens wie Wiedergeburt, karman und Erlösungsstreben, Weltsicht und Orthopraxie des Hinduismus (Vorlesung 1), die indischen Philosophien (2) und die (Gesinnungs-)Ethik zwischen Ideal und Wirklichkeit (3), das Konzept „Gewaltlosigkeit“, ahiňsā und Indiens politisches Handeln (4), Familienstruktur und das real existierende Kastensystem (5), die Stellung der Mädchen und Frauen in einer patriarchalen Gesellschaft (6), die Spannungen zwischen liberaler Gesetzgebung und traditioneller Lebenswirklichkeit (7), der ethno-nationalistische Hindu-Konservatismus der gegenwärtigen Regierung (8) und der Widerspruch zwischen der wirtschaftlich-aussenpolitischen Öffnung des Landes und dem isolationistischen Beharren auf einer eigenen indischen Identität großer Bevölkerungsteile, einer Art „Kulturessenzialismus“ (Andreas Reckwitz), der westlichen Liberalismus und „Hyperkultur“ nicht selten kritisch betrachtet (9). Weitere Themen werden sein: Die Lage der Minderheiten, der Dalit, Christen und Muslime (10) sowie die Fragen: Ist eine politische Wende im Wahljahr 2022 in Sicht, kann die liberale Opposition erstarken (11)? Und: Wird Indien zum „global player“, als den es sich selbst betrachtet und was sind Status und Ziele seiner Außenpolitik? (12)
Es gibt Unterschiede zu westlichen Kulturen, aber auch Gemeinsamkeiten: Indien hat eine eigenständige und „eigen-artige“ Kultur hervorgebracht; so unterscheiden sich der Hinduismus und seine Gottesbilder grundlegend von den abrahamitischen Religionen (1), während die fast 3000 Jahre alte Vedānta-Philosophie Übereinstimmungen mit dem Deutschen Idealismus zeigt (2). Bemerkenswert ist die kulturelle Konstanz des Landes und seiner Werte auch in Zeiten der Globalisierung (8 und 9).- Dozent/In: Renate Syed